Als Studentin wollte ich Juni 2006 nach einigen untätigen Jahren anfangen zu arbeiten. Nach nur 1-2 Wochen Suche hatte ich bereits einen Job auf 400 EUR Basis in Wiesbaden in der Adelheidstraße gefunden und war glücklich.
Der erste Eindruck: positiv
Herr Reinhold F. war mir gegenüber im Vorstellungsgespräch sehr freundlich und erzählte mir fast eine Stunde lang von seiner “Vision”. Sein fortgeschrittenes Alter, seine Redegewandheit und Überzeugungskraft ließen keine Zweifel über seine Glaubwürdigkeit aufkommen. Ich freute mich, bei dem Start eines Unternehmens dabei sein zu können und erhoffte mir einmalige Einblicke in eine Unternehmensgründung.
Die Fassade bröckelt
Bei der Firma, nachfolgend VS-AG genannt, ging es um den Vertrieb von Wellnessprodukten, einem Affiliate-System und einer Art Weltverbesserer-Ideologie, die mir irgendwie gefiel. Nein, es war mir eigentlich egal, ich wollte ein Einkommen und freute mich, dass ich Ahnung von Affiliates hatte.
Trotz meiner Unerfahrenheit fiel mir schnell auf, dass vieles schief lief. Zunächst waren unsere Büroräume gleichzeitig die Wohnunterkunft von Reinhold F. Bis auf einige wacklige Regale, den Schreibtischen, den 5 altersschwachen PCs und einer Luftmatratze war die Wohnung leer, die Fenster waren zur Verdunkelung mit Zeitungen verklebt.
Die Arbeit erledigte ich problemlos, mit meinen Kollegen verstand ich mich bestens. Dass wir noch nicht mal ein Netzwerk hatten, wunderte mich zwar, aber ich schob diesen Zustand auf die frühe Phase des Unternehmens.
Unseriös
Einen Arbeitsvertrag hatte ich nicht unterschrieben. Auch hatte ich keinerlei Bankdaten hinterlassen. Auf Anfrage beim Chef, wich er mir aus, ich solle mich an die Sekretärin wenden. Dort hinterließ ich einen Zettel mit meiner Bankverbindung.
Nachdem ich 6 Wochen immer noch kein Gehalt erhalten hatte, fragte ich beschämt nach. “Das Geld ist noch nicht da” lautete ab dann die Ausrede meines Chefs. Damit meinte er, dass das “Geld” unseres einzigen Sponsors, Herrn Z., von dem unsere Gehälter bezahlt werden sollten, noch nicht auf dem Geschäftskonto eingegangen wären.
Herr F. schien es auch nicht für nötig zu befinden, das Gehalt, das mir zustand, zurückzulegen. Es wurde jeden Monat planlos konsumiert. Erst nach 2,5 Monaten schaffte es mein Chef, mir zwischen Tür und Angel mir mein Geld bar auszuhändigen. Anderen Kollegen erging es genauso.
Fortschritt Fehlanzeige
Die Gehaltszahlungen erfolgten anschließend regelmäßig, obwohl wir nach wie vor keine Einnahmen erzielten. Das lag ausschließlich daran, dass Herr F. von der Umsetzung seiner Vision keine Ahnung hatte und damit nicht wusste, welch Zeit und Geld dahinter stand. Er verwarf Ideen, deren Umsetzung bereits Wochen zuvor begonnen hatte, und verhinderte jeden Fortschritt. Er hielt Sponsoren und Partner mit Lügen und abenteuerlichen Versprechen von astronomischen Renditen hin, verschleierte aber die Tatsache, dass er schon einmal eine Firma in den Ruin getrieben hatte.
Er beschäftigte eine Webdesign Agentur, die es nicht im Ansatz schaffte, seine Ziele umzusetzen. Die nahezu wöchentlichen Kursänderungen der Unternehmensziele zehrten an den finanziellen Mitteln und ließen die Aussicht auf Einnahme in weite Ferne rücken.
Viele Wege, kein Ziel
Zunächst waren wir dabei, ein Online-Shop-in-Shop System aufbauen, bei dem unsere Kunden, wie bei Webmiles, Bonuspunkte für Einkäufe sammeln und gegen Prämien eintauschen konnten. Dieses Projekt wurde noch nicht im Ansatz realisiert, als man sich wieder neuen Zielen zuwandte: Nun sollte ein Shop mit Wellness-Produkten eingerichtet werden, dessen Produkte wir direkt vertreiben sollten. Ein Vertrieb oder Lagerhaltung standen uns nicht zur Verfügung.
Die Homepage reflektierte immer deutlicher die zunehmende Orientierungslosigkeit des Unternehmens. Plötzlich hieß es, das Affiliate-Bonus-System, das bis dahin unser Kerngeschäft darstellte, müsse nun dem Wellness-Fokus weichen. Es wurde immer komplexer, da die “Ideen” teilweise nicht in eine Richtung führten. Das Konzept wurde komplett verwässert und es entstand eine Arena von zahllosen Großbaustellen…
Doch Herr F. gab sich zuversichtlich – und vollkommen faktenblind. Trotz gleichbleibenden niedrigen Mittelzuflüssen, beschloss Herr F. einen Fortschritt vorzutäuschen. Dazu wurden “hochqualifizierte Fachkräfte” eingestellt, und wir zogen um in die noble “Unter den Eichen”-Straße in Wiesbaden. An der Tagesordnung standen plötzlich zahllose Meetings, deren Sinnhaftigkeit sich nie wirklich erschloss.
Die Inhalte:
- Networkmarketing funktioniert problemlos
- alle werden unermesslich reich ohne zu arbeiten
- alles ist möglich
- die Zahlungsmittelknappheit ist nur vorübergehend
- “Wer macht was bis wann”-Frage, deren Antworten immer und immer wieder untergingen
Die Arbeit der hochqualifizierten Fachkräfte wurde immerzu durch die fehlende Einsicht und der Kritikunfähigkeit des Herrn F. vernichtet. Empirische Erkenntnisse und offzielle Statistiken über das Konsumverhalten mussten persönlichen Einschätzungen und Meinungen weichen.
Das Ende von VS-AG
Es kam wie es kommen musste: Der Finanzmittelzufluss versiegte Ende 2006. Mit dem Wissen um die finanzielle Krise wurden dennoch neue Mitarbeiter eingestellt. In Vollzeit. Ein zusätzlicher Programmierer, eine Marketing-Expertin, eine junge Sekretärin und sein eigener Sohn.
Willkürlich entscheidend, ging Herr F. Ende Januar dazu über, vorwiegend den Vollzeit-Fachkräften, nur einen Bruchteil der Gehälter auszuzahlen. Ich bekam meine 400 EUR bis Anfang März regelmäßig. Da ich nur 12,5 Stunden die Woche arbeitete und – aufgrund von PC-Mangel – von zuhause aus, blieben mir zahllose Missstände verborgen.
Mein Chef schien den Verstand zu verlieren.
Er vergraulte die neue Sekretärin, beschuldigte sie, negative Energie in das Unternehmen eingebracht zu haben. Diese wiederum kündigte und hatte dann Schwierigeiten ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend zu machen. Sie musste erst aufwändig erklären, dass sie aufgrund von ausbleibenden Gehaltszahlungen das Arbeitsverhältnis von sich aus beenden musste.
Herr F. reagierte auf Gehaltsforderungen gereizt und übte pausenlos Druck auf die Mitarbeiter aus, wirkte bisweilen cholerisch. Er kürzte unvermittelt das Gehalt von Mitarbeitern, denen er Unfähigkeit unterstellte, und entzog mir den Büroschlüssel, da ich eh nur so kurz da wäre. Gekündigt hat er keinem.
Die finanzielle Krise, so hieß es, wäre ein vorübergehendes Problem, man müsse nur den Gürtel enger schnallen. Dass das Firmenkonto bereits langfristig gepfändet wurde, verschwieg er uns. Herr F. ließ sich nun heimlich die finanziellen Mittel auf sein Privatkonto einzahlen. Ich bekam mein letztes am 13. April 2007 und es stehen bist heute 400 EUR aus.
Bereits im Mai hatten nahezu alle gekündigt und verklagten Herrn F., der sich erstaunlich gelassen zeigte.
Zeitweise ließ er die Vermutung von geistiger Umnachtung aufkommen, als ehemalige Mitarbeiter ihn aufsuchten, um ihr Geld einzufordern und er ihnen daraufhin ein neues Arbeitsangebot machte.
Als es das “letzte Geld” gab, das waren 6000,00 EUR, wurden 3500,00 EUR von ihm einbehalten, der Rest unter den Mitarbeitern aufgeteilt.
Die Zeit danach
Gewonnene Klagen, gerichtliche Titel, Vollstreckungsbescheide hielten Herrn F. nicht davon ab, sich zu verstecken und toter Mann zu spielen. Die Wege zu den Gerichten und Anwälten sind zeitaufwändig, fruchten wenig und kosten viel. Ich hab mir keinen Anwalt leisten können. Der Weg zur Polizei hat mir nichts gebracht. Ich wurde zum Gericht geschickt, wo man mein Anliegen nicht im Ansatz begriff. Das Arbeitsamt verweigerte mir meinen Anspruch auf Insolvenzgeld, denn Herr F. meldete keine Insolvenz an, also gab es offiziell keine Insolvenz. Herr F. tat nach wie vor so, als wäre die aktuelle Unternehmenssituation nur eine temporäre Geschichte.
Ein gemeinschaftlicher Brief an den Aufsichtsrat beeindruckte niemanden:
Sicherlich ist Ihnen schon bekannt, dass VS seit einigen Monaten zahlungsunfähig ist.
Alle Mitarbeiter waren zuversichtlich, engagiert und standen voll und ganz hinter dem Unternehmenskonzept. Bereits Anfang des Jahres haben wir jedoch erfahren müssen, dass sich die finanzielle Situation dramatisch verschlechtert hat, so dass benötigte Arbeitsmittel und technisches Zubehör nicht mehr finanziert werden konnten. Die Zusammenarbeit mit Partnern und Lieferanten konnte dementsprechend nicht mehr reibungslos ablaufen, da VS Verbindlichkeiten nicht rechtzeitig oder gar nicht begleichen konnte. Somit konnten erarbeitete Konzepte nicht mehr umgesetzt und realisiert werden.
Die finanzielle Krise hatte unterschiedliche Ursachen: Zum einen offenbarte Herr F., dass VS Schulden aus vergangenen geschäftlichen Aktivitäten übernommen hat, die aus seiner Zeit bei LV stammen. Zum anderen wurden immer wieder fertig erarbeitete Konzepte und Strategien kurz vor Realisierung von Herrn F. verworfen, was zur Folge hatte, dass Teilprojekte nicht abgeschlossen werden konnten. Die zuständigen Entscheidungsträger für die verschiedenen Unternehmensbereiche wurden von Herrn F. permanent übergangen, ohne fundierte Begründungen zu liefern. Herr F. bevorzugte es, sich auf seine Intuition anstatt auf vorliegende Fakten zu verlassen. Durch diese unprofessionelle und ziellose Geschäftsführung wurde der bereits strapazierte Etat unnötig und erheblich belastet.
Alle oben genannten Punkte führten dazu, dass ab März keine Gehälter mehr gezahlt werden konnten. Diese genannten Tatsachen – insbesondere die Zahlungsunfähigkeit – erschütterten das Vertrauensverhältnis zur Geschäftsführung nachhaltig, so dass nahezu alle Mitarbeiter bis Ende Mai das Arbeitsverhältnis mit VS kündigten. Dennoch wurde auch nach Bekanntwerden der finanziellen Krise trotz unserer Warnungen ein weiterer Mitarbeiter eingestellt, da Herr F. nach wie vor die Ansicht vertrat, die Zahlungsunfähigkeit wäre lediglich eine vorübergehende Krise.
Wir bezweifeln nach jetzigem Stand der Dinge, das Herr F. Sie umfassend über die betrieblichen Abläufe informiert hat. Mittlerweile haben wir auch erfahren, dass Herr F. uns für das Scheitern der Firma verantwortlich macht. Dieser Anschuldigung empfinden wir als nicht gerechtfertigt und bitten Sie um Überprüfung der oben genannten Fakten, der Konten und weiterer Geschäftsunterlagen.
Aufgrund dieser Anschuldigung und weiterer Unwahrheiten, die Herr F. verbreitet, sahen wir uns gezwungen eine Strafanzeige wegen Insolvenzverschleppung bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden aufzugeben, was strafrechtliche Konsequenzen für alle Mitglieder des Aufsichtsrates nach sich ziehen kann.
Den Stand der aktuellen Ermittlung können Sie bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden unter dem Aktenzeichen … unter der Tel.: … erfragen. Des Weiteren haben alle Mitarbeiter beim Arbeitsgericht Wiesbaden Lohnklage eingereicht.
Wir haben Herrn F. darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir unsere Ansprüche erst bei der Insolvenzstelle des Arbeitsamtes geltend machen können, wenn der Vorstand der VS Insolvenz anmeldet.
…
Wir erwarten von Ihnen eine zeitnahe und kompetente Lösung und verbleiben mit freundlichen Grüßen
Klagen wurden gewonnen, aber wo vermeintlich nichts ist, kann man auch nichts holen.
Jetzt, ziemlich genau ein Jahr nach dem Ende von der VS-AG stieß ich durch Zufall auf eine Stellenanzeige, bei der Herr. F. wieder nach der gleichen Methode und unter gleichen Firmen-Label neue “Bürokräfte” sucht.
Es bleibt nach wie vor ein Rätsel, wie ein Firmenvorstand dermaßen schlafen kann, wie man monatelang, wenn nicht sogar Jahre keine Miete bezahlen muss, wie man seine Mitarbeiter skrupellos am Existenzminimum vegitieren lassen kann und gegen zahlreiche Gesetze verstößt, ohne dafür belangt zu werden. Ich dachte, der Rechtsstaat würde den Ehrlichen schützen und Unrecht bestrafen. Die Richter wissen Bescheid, die Polizei weiß Bescheid, das Arbeitsamt weiß Bescheid. Und trotzdem darf Herr F. weiter machen.
Natürlich. Er hat nichts. Also auch nichts zu verlieren. Er hat gelernt, durch sein bloßes Auftreten Seriösität zu suggerieren und schafft es immerzu, die Gutgläubigkeit von anderen zu seinem Vorteil auszunutzen. Von Rücksicht und Verantwortung kann man sich nichts kaufen…
Die Vorbilder des Herrn F. sind verurteilte Betrüger und Schwindler. Man muss nur nach den Namen googeln, die er ab und zu fallen lässt. Er ist anfällig für Luftschlösser und baut selbst gerne welche, steckt andere mit seinem Irrsinn – wenn auch nur kurzfristig – an.